Hallo Herr Kampmann,
wir sind genauso wie Sie der Verzweiflung nahe. Hinzufügen muss man glaube ich an dieser Stelle, dass sowohl Sie wie auch wir als hausärztliche Grundversorger tätig sind (das ist die letzte Rückfallebene!)- wir zudem noch in einer ländlichen Region mit 3000 Patient:innen pro Quartal, erweiterte Diagnostik, viele Zuweiser.
2 Ärzte, nur Teilzeit MFAs summiert auf 4 Vollzeitstellen, 3 Medizinstudent:innen (teils vor Ort, teils im Homeoffice auf Stundenbasis).
Zu viele Kanäle? Eine immer panischer werdende Bevölkerung, Demographie, mangelnde Eigenverantwortung und (zumindest hier bei uns) dramatisch sinkende Facharztkapazitäten (Wartezeit auf Termine mindestens 4 Wochen bis 12 Monate) sowohl ambulant als auch stationär. Hinzukommt ein schwindendes Engagement/hohe Ausfallraten (physisch/kognitiv) beim Personal.
Die Bevölkerung braucht die exorbitante (Mehr-) Versorgung scheinbar- ob wir es wollen oder nicht. Und dem setzen wir - genauso wie Sie - die Digitalisierung entgegen: Onlineterminplaner, arzt-direkt-App, Aaron.ai digitaler Anrufbeantworter, Telefonanlage, IDANA (digitale Fragebögen), Homepage mit Kontaktformular, e-mail, digitales Fax (Tobit/David) und natürlich das Telefon.
ABER: es reicht nicht! Und das führt auch uns an den Rand der Verzweiflung.
Wir haben nun 3 Jahre Corona auf dem Buckel: Infektionen, Impfungen, wieder Infektionen, post-Covid. Da haben sich zumindest in unserem Bereich viele fachärztliche Kolleg:innen frühzeitig losgesagt und abgewunken. Das zehrt!
Was wir uns nun verbitten: die multiple Erreichbarkeit weckt Begehrlichkeiten. „Ich erreiche meine Facharztpraxis nicht, können Sie mir…. ein Rezept, ein Heilmittelrezept, ein Attest, einen Dringlichkeitscode, einen Termin beim…, ein…. ausstellen“.
Was wir planen: ich hatte Kontakt zu Aaron.ai aufgenommen- der digitale Anrufbeantworter mit künstlicher Intelligenz kann ja mittlerweile einen „sprachlichen“ Chatbot und damit auch Triage. Soll demnächst fein programmiert werden, geht aber auch bei Direktansprache individuell zu programmieren- da kann man schon mal die Spreu vom Weizen trennen. Wir planen zudem eine zusätzliche KI zur Triage einzubauen, da unsere Kolleg:innen am Telefon immer wieder weichgeklopft werden und Termine für Patient:innen zeitnah vergeben werden, die es definitiv nicht benötigen. Der OTK hält auch noch Ressourcen bereit um eine plausible Triagierung einzubauen (hier werde ich in den nächsten Tagen Kontakt zu Tomedo aufnehmen). Wenn man das irgendwann alles zusammen hat, kann man ggf. getrost mal das Telefon vernachlässigen und auf eine einzige Notfallleitung verweisen (weil alles andere vom Patienten online platziert werden muss).
Und wir gehen zur KV: wir können nicht mehr und wollen wissen, ob wir wirklich den Kopf für alles hinhalten müssen (juristische Prüfung…).
Wenn Sie sich am Ideenaustausch hinsichtlich der (rechtlich konformen) Triagierung beteiligen wollen, bitte mal Kontakt aufnehmen: dr.kudielka@praxiswest.de
Was wir uns wünschen würden?
Dass die Politik hier endlich tatkräftig eingreift, dass die Medien Aufklärungsarbeit leisten, dass die exorbitanten Vielfachkontakte in der hausärztlichen Praxis estimiert oder vielleicht auch vergütet werden.
Kleiner Ausflug nach Skandinavien? Hier ein nettes Statement:
Hausarztinfos von Dr. Mühlenfeld (Institut für hausärztliche Fortbildung): „die Tage fand ich im ListServer folgenden Text unseres Kollegen Harald Kamps: „Der Norweger (und der nicht verschreckte Mensch auf dem Land) entfernt sich die Zecke selber, weil er nicht durch wohlmeinende Ratgeber verunsichert wird und hinter jedem Tier eine tödliche Krankheit befürchtet. Er vertraut darauf, dass Pfeifgeräusche im Ohr nach ein paar Tagen Pause wieder verschwunden sind. Für die Krankheit „Hörsturz“ gibt es im Norwegischen gar kein Wort – also auch keine Besorgnis. Gestresste Politiker gönnen sich einfach ein freies Wochenende. In den Wartezimmern einiger norwegischer Allgemeinärzte hängt folgendes Schild: „Vorsicht: Sie verlassen Ihre persönliche Lebenswelt. Wenn Sie jetzt das Gesundheitswesen betreten, fragen Sie Ihren Arzt nach Nebenwirkungen und Risiken.“
Nach mehr als 20 Jahren als Allgemeinarzt in Norwegen vermisse ich ein Prinzip, das in Norwegen die Diskussion um das Gesundheitswesen durchdrungen hat: Priorität gilt dem „Nächsten Effektiven Interventionsniveau“ (NEIN). Konkret bedeutet das: Nichts dem Arzt überlassen, was jede Oma besser weiß! Nichts dem Arzt überlassen, was die Gemeindekrankenschwester besser regelt! Nichts dem Facharzt überlassen, was der Hausarzt besser überblickt! Nichts dem Krankenhaus überlassen, was der Facharzt um die Ecke auch kann! Mehr NEIN hört sich sehr negativ an, kann aber, wie viele negative Befunde in der Medizin, letztlich positive Auswirkungen haben.“ Den Text hat er 2007 veröffentlicht! – wenn man es positiv sieht, hat sich seit dem nicht viel verschlimmert. ;-)“
Mit Anfang 50 werden wir die verwaisende medizinische Versorgungslandschaft zukünftig mit voller Breitseite genießen dürfen und tun gut daran Kolleg:innen zu finden, die tragfähige Konzepte zur Befriedung entwickeln. Von oben wird da nix kommen. Von Tomedo kommt aber sehr viel und wir sind an dieser Stelle unendlich dankbar, dass Zollsoft hier so nah an den Kunden ist und (noch) ansprechbar zu sein scheint.
Ganz herzliche Grüße aus der Eifel, Silke Orth und Patrick Kudielka – PraxisWest