1. Warum der Umstieg:
Vor drei Jahren haben meine Frau und ich eine Praxis übernommen, die bisher mit Turbomed gearbeitet hat. In unseren vorherigen Praxen hatten wir bereits umfangreiche Erfahrungen mit Turbomed gesammelt. Wir haben jedoch festgestellt, dass diese Software unseren aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht wurde. Da wir uns vor dem Umstieg intensiv durch Foreneinträge und Gespräche mit Kollegen informiert hatten, fiel die Wahl schließlich auf Tomedo, um eine modernere und flexiblere Lösung zu implementieren. Wir möchten daher unsere Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen teilen, die über einen Umstieg nachdenken. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass unsere Erfahrungen aus dem hausärztlichen Bereich stammen und die Situation für Gebietsfachärzte durchaus anders sein kann.
2. Der Umstieg und die Anfangszeit:
Aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken der Vorgänger konnten wir vor der Praxisübernahme keine Probe-Konvertierung vornehmen. Das hat zu Bedenken sowohl auf Seiten von Tomedo als auch bei unserem zukünftigen IT-Betreuer geführt. Dennoch haben wir uns für den Umstieg entschieden, und die Konvertierung hat reibungslos funktioniert. Wir haben die Praxis für eine Woche geschlossen, um Hardware und Software auszutauschen. Vorab haben wir ein Leih-MacBook genutzt, um uns mit der neuen Software vertraut zu machen, und haben Online-Videos angeschaut. Besonders hilfreich war es, dass am letzten Tag der Umstellungswoche eine erfahrene MFA aus einer anderen Praxis anwesend war. Zudem hat uns der Geschäftsführer unseres betreuenden Softwarehauses in den ersten beiden Praxistagen unterstützt. Die Anfangszeit war zwar sehr anstrengend, was aber nicht nur an Tomedo lag, sondern auch daran, dass wir viele Praxisabläufe gleichzeitig umgestellt haben.
3. Die Aufbauphase:
Tomedo ist ein sehr mächtiges Tool mit einem riesigen Werkzeugkasten an Möglichkeiten, was es anfangs schwierig gemacht hat, den richtigen Einstieg zu finden. Nachdem wir die To-Dos und die Marker etabliert hatten, haben wir damit begonnen, Textbausteine zu erstellen und anschließend Aktionsketten zu implementieren. Zudem haben wir das "Früherkennungsradar" mit Vorsorgeintervallen gefüttert.
Im Laufe der Zeit haben wir auch begonnen, mit Statistiken zu arbeiten und Ziffern gezielt zu filtern. Später kamen dann auch die Videosprechstunde und die Online-Terminvergabe hinzu. Diese Prozesse haben unsere Arbeit zwar deutlich effizienter gemacht, waren aber auch sehr zeitintensiv in der Erstellung. Dabei war der Tomedo-Support immer wieder eine große Hilfe, ebenso wie unser betreuendes Softwarehaus. Das Tomedo-Forum hat sich als echter Wissensschatz erwiesen, und die Erfahrungen der Kollegen waren von unschätzbarem Wert.
4. Positive Seiten:
Der Markt an Praxisverwaltungssystemen ist nahezu unüberschaubar, doch wir sind nach wie vor der Meinung, dass Tomedo eines der besten Systeme in Bezug auf das User-Interface ist. Die zahlreichen Features wie das Tomedo-Forum, die YouTube-Videos und der Tomedo-Online-Campus (auch wenn wir Letzteren bisher nur wenig genutzt haben) sind äußerst hilfreich. Besonders das To-Do-System hat sich für uns als sehr nützlich erwiesen und unterstützt uns im Praxisalltag enorm.
5. Verbesserungswürdiges:
Ein Punkt, der uns aufgefallen ist, ist, dass viel Energie in neue Features wie den Praxis-KI-Assistenten oder die KI-Karteikarten-Suche investiert wird, während das User-Interface nicht immer homogen ist und es bei Basisfunktionen immer wieder hakt. Das führt dazu, dass wir viel Zeit verlieren, weil grundlegende Funktionen nicht einheitlich umgesetzt sind. Beispielsweise kann man aus der Vidierliste keine Diagnosen eintragen, und aus der Ansicht des bundeseinheitlichen Medikationsplans kann nicht direkt verordnet werden. Zudem gibt es eine alte und eine neue Laborübersicht, wobei die neue noch unausgereift ist. Dieses uneinheitliche User-Interface führt zu sehr vielen Mausklicks und damit zu erheblichem Zeitverlust.
Es bleibt der Eindruck, dass viele Features in einer Umgebung mit Testpatienten mit wenigen Diagnosen/Datensätzen getestet werden. Wir haben bei vielen Patienten Einträge, die bis zu 20 Jahre zurückreichen.
Ein weiterer Kritikpunkt sind die Kosten. Obwohl wir verstehen, dass innovative Features einen hohen Entwicklungsaufwand haben, sind die Kosten, die teilweise pro Arzt berechnet werden, immens. Ein aktuelles Beispiel sind die Patientenformulare, die für uns aufgrund der Kosten nicht attraktiv und aus finanziellen Gründen nicht nutzbar sind. Diktieren haben wir z.B. an Superwhisper ausgelagert (was trainierbar ist, lokal läuft und einen Bruchteil kostet) und beobachten das auch bei Kollegen z.B. beim Online-Terminkalender etc.
6. Fazit:
Wir haben den Umstieg auf Tomedo letztendlich nie bereut. Es ist zwar durchaus eine teure Lösung, aber auch sehr komfortabel. Wir würden uns jedoch wünschen, dass mehr Energie in die Basisfunktionen gesteckt wird. Das eingangs genannte Bild einer Fahrt im ICE trifft es gut: Man fährt lange Zeit sehr schnell und komfortabel, doch auf den letzten Metern rollt man oft langsam. Je mehr sich wiederholende Prozesse es gibt, desto größer ist der Gewinn durch die Automatisierungsmöglichkeiten. Für eine Hausarztpraxis mit vielen unterschiedlichen Krankheitsbildern und Konsultationsanlässen ist der Zeitaufwand jedoch höher und erfordert eine gewisse Begeisterung, sich in die Technik einzuarbeiten. Das spiegelt sich auch im Forum wider, wo man immer wieder auf Kollegen trifft, die enormen Einsatz bei der Umsetzung der Automatisierungsmöglichkeiten zeigen.
Und eins soll noch gesagt werden - während wir noch wütende Faxe von Kolleg:Innen bekommen haben, mit dem Aufruf sich gegen das technisch komplizierte eRezept/eAU etc. zu wehren, haben wir uns schon darüber gefreut und konnten es als eine der ersten Praxen der Umgebung nutzen.