Als Facharzt sehe ich täglich etwa zu 50% Neupatienten – oft mit unvollständigen oder gar fehlenden Informationen. Medikamentenpläne sind lückenhaft, auf Überweisungsscheinen steht häufig wenig Brauchbares, und Patienten selbst wissen oft weder genau, welche Medikamente sie einnehmen, noch weshalb. Die Anamnese wird zum Puzzlespiel. Rückfragen beim Hausarzt kosten Zeit – und liefern häufig erst nach Tagen Ergebnisse.
Hier könnte die elektronische Patientenakte (ePA) tatsächlich einen echten Fortschritt bedeuten – zumindest in der Theorie. Denn in der Praxis ist sie bislang schlicht nicht vorhanden.
Ich habe in den letzten Wochen bei jedem neuen Patienten geprüft, ob eine ePA existiert. Ergebnis: kein einziger Treffer. Offenbar scheitert das System schon an der ersten Hürde – der Aktivierung durch die Patienten. Gerade ältere Menschen fühlen sich von der technischen Komplexität überfordert. Ohne ihre aktive Zustimmung bleibt die ePA leer – und für uns Ärzte damit faktisch wertlos.
Hinzu kommt eine fragwürdige Vergütungsstruktur:
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11,03 € für die Erstbefüllung – unabhängig davon, was überhaupt eingetragen wird.
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1,86 € für Folgeeinträge pro Quartal.
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0,37 €, wenn ohne Patientenkontakt dokumentiert wird.
In der Hausarztzentrierten Versorgung (z. B. bei der TK) sind die Beträge deutlich höher, aber der Eindruck bleibt: Die Anfangsvergütung wirkt wie ein Lockangebot – Ärzte sollen motiviert werden, überhaupt mitzumachen. Ob die Daten medizinisch sinnvoll, aktuell oder strukturiert sind, spielt dabei offenbar keine Rolle.
Laborwerte sollen automatisch hochgeladen werden, während strukturierte Arztbriefe – die im Alltag weit nützlicher wären – kaum berücksichtigt werden. Für eine sorgfältige Pflege der ePA gibt es praktisch keinen Anreiz. Der tatsächliche Mehraufwand durch Dokumentation, Technik, Schulungen und Bürokratie bleibt unbeachtet. Das ist aus Sicht des Praxisalltags schlicht realitätsfern.
Viele Kolleginnen und Kollegen wollen die Erstbefüllung technisch automatisieren – offenbar mit dem Ziel, möglichst schnell die Pauschale abzurechnen. Was danach kommt? Vermutlich: nichts.
Mein Fazit nach mehreren Wochen aktiver Suche nach der ePA im Behandlungsalltag:
Ein System, das weder von Patienten verstanden noch von Ärzten sinnvoll genutzt wird. Eine digitale Hülle ohne Inhalt.
Die Kritik, unter anderem vom Chaos Computer Club, ist weiterhin unbeantwortet. Datenschutz, Zugänglichkeit und medizinische Relevanz sind ungelöste Baustellen. Im jetzigen Zustand bleibt die ePA leider ein Rohrkrepierer mit Ansage.
Mich interessiert:
Hat irgendjemand in der Praxis schon tatsächlich sinnvoll mit der ePA gearbeitet?
Oder bleibt sie – wie bisher – ein Konzept auf dem Papier?
In den Skandinavischen Ländern funktioniert die ePA, unterscheidet sich aber in wesentlichen Punkten vom Deutschen Büroktiemonster das weit von der Praktikabilität entfernt ist.